Ja, sorry, das kommt jetzt überraschend. Erst gestern hatte ich noch meinen Freunden geschrieben, daß ich weiter laufe über Fürth, Neustadt an der Aisch, Ochsenfurt, Würzburg, Wertheim, Miltenberg, Mainaschaff, Steinheim, Frankfurt, Mainz. Das könnte ich mit Pausentagen in zehn Tagen schaffen.
Ich kann nur spekulieren, warum ich mich unentschieden habe. Vielleicht war es das triste letzte Hotel, die Suche heute ließ sich auch kompliziert an, vielleicht die Aussicht, auf mehrere Etappen über die Hügel und durch Dörfer, in denen auch kein Hotel ist. Vielleicht auch, weil es seit einigen Tagen keine vegetarischen Gerichte auf den Speisekarten gibt, geschweige denn Kässpätzle. Vielleicht ist es der Abschied vom lieblichen, grünen, schattigen teils einsam schönen Ludwig-Kanal. Oder weil ich gestern bei einem Stop einen Rucksack samt Laufbrille habe liegen lassen und meine Zugstange am Wagen, die ich repariert habe, immer lockerer wird. Vielleicht weil Nürnberg wieder so ein großes Ziel ist, fast doppelt so weit wie mein Mindestziel Passau. Mit allem, was ich erreiche wird es weniger erstrebenswert, nur wegen eines bestimmten Zieles weiter zu machen. Vielleicht auch, weil es kein Abenteuer und nicht mehr so leicht, zufällig und spannend ist. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus allem.
Vielmehr bin ich lustgesteuert und merke, wenn ich motiviert und beflügelt bin. Eben durch Natur, durch Abenteuer, durch die Menschen, denen ich begegne, gutes Essen und eine schöne Strecke. Ich freue mich auf Läufe in den Hügeln des Hunsrück, auf Spargel satt, auf Erdbeeren, auf die Radieschen, Salat, Erbsen und Lauchzwiebeln aus dem eigenen Garten, auf meine Familie und Freunde. Da gehöre ich jetzt hin. Wir können in den eigenen vier Wänden einschlafen und aufwachen, das Erlebte verarbeiten, Gäste einladen und bekochen, den Sommer genießen – das ist der wahre Luxus. Jetzt kommt die richtig warme, schönste Zeit des Jahres. Ich kann mich um meine neue Arbeit kümmern und in den Alltag all das einweben, das ich erlebt und erlebt habe. Ich kann an dem Buch zum Abenteuer Baltikum arbeiten.
Ich verpasse deshalb den sehr schön gewundenen Main ab Wertheim bis Mainaschaff, das Treffen mit Freunden und ehemaligen Kollegen im Rhein-Main Gebiet, das Erreichen weiterer schöner „Meilensteine“ wie Würzburg, Frankfurt, Mainz. Das kann ich verschmerzen.
Der Tag beginnt am Ludwig-Kanal wie er gestern aufgehört hat, friedlich, grün und angenehm schattig.
Der Giersch, der gestern noch als Blüte des Tages verdrängt wurde, kriegt heute seinen Platz. Ich kennen den eigentlich nur als Unkraut, hier säumt er nochmal in voller Pracht den Kanal.
An diesem Punkt schalte ich um: Nürnberg Altstadt 14 km.
Alles, wozu ich Lust habe, fällt mir ein und dazu habe ich Lust: Zum Bahnhof laufen, einsteigen und ab nach Hause. Anders als viele Ultraläufer und Leistungssportler habe ich keine Lust, mich über Gebühr zu plagen. Klar, die letzten Kilometer eines Marathons, eine kleine Hitzeschlacht, ein paar Kilometer mehr, ein Abend ohne Mahlzeit – das kriege ich immer hin. Aber jetzt ist ein Moment, in dem ich weiß was ich will, in dem ich mache, wozu ich Lust habe.
Eine letzte Schleuse, Nummer 66 samt Schleusenwärterhäuschen.
Eine allerletzte Schleuse, Nummer 67.
Dann biege ich ab in Richtung Stadt. Die letzten 9 km sind sehr sehr schön, denn ich fliege. Erst durch den Wald.
Dann durch die Stadt. Ich grüße links, ich grüße rechts, es ist ein Zieleinlauf. Ein roter Teppich wird mir ausgerollt wie auf dem letzten Kilometer eines Marathons.
Keine verhärteten Waden, keine strammen Oberschenkel, keine platt gelaufenen Füße, kein beißender Schweiß in den Augen, keine Müdigkeit der letzten 5 Tage mit 170 km. Alles ist leicht.
Am Gelände des Rock im Park befrage ich ein paar Helden, die die letzten beiden Tage so gut überstanden haben, daß sie schon wieder sprechen können. Soll geil sein bisher, auch den Ärzten ist wohl ihr comeback gelungen. Heute Abend werde ich die kleinen Lichter am Horizont über der Nürburgring am Horizont sehen, denn da tobt Rock am Ring – da sind dann die Ärzte.
Noch 2 km bis zum Bahnhof. Die Glocken von St. Peter stimmen ihr Geläut an.
Der Tunnel am Bahnhof – leer.
Die Menschen dürfen angetrunken kein Auto aber Bahn fahren.
So viele Menschen bin ich nicht mehr gewöhnt. In der Regionalbahn lasse ich mich nach Hause schuckeln.
Ein paar Jugendliche wollen wissen, woher wohin, sie wollen nach München zu Rammstein. So hat jeder sein Pfingstfest. Wir sausen am Main entlang, ja das ist auch so ein Fluß an dem man schön laufen kann – vielleicht später mal.
Frankfurt Hbf. Ist der meist frequentierte Bahnhof Deutschlands.
Hier regiert das Geld und nicht die Natur. Jede Gegend hat ihre Reize. Die Leute sind bunt, dieses Mädel will unbedingt mit aufs Foto. Warum nicht.
Die letzten Bahnkilometer fahre ich mit Deutschlands steilster Eisenbahn ohne Zahnrad. Auf den wenigen Kilometern geht es steil hoch über 5 Brücken und drei Tunnel.
Die letzten 7km laufe ich wieder mit meinem Wagen.
Was für eine Rückkehr, leichtfüßig, gesund, glücklich, voller Erlebnisse und voller Vorfreude.
Am Horizont ist der Nürburgring hell erleuchtet.
22. Etappe Donau + Kanal Wendelstein – Nürnberg + Boppard Buchholz – nachhause: 24 km
Toll beschrieben – beim Lesen war mir fast so, als wäre ich es selbst.
All Deine Erfahrungen, die Du mitgebracht hast. Niemals passten sie – wären es Gegenstände – in Deinen Wagen hinein.
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Das hat Di aber schön gesagt. Herzlicher Gruß, Guido
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