Heute wird es schön, aber das merke ich in meinem Zimmer zunächst gar nicht. Geht raus zum Hinterhof und dann ist dazwischen auch noch die Küche. So fällt mein Start in den Tag dezent aus, aber klar ist auch: Ich gehe laufen entlang des Schwarzen Meeres. Dafür habe ich gestern alles ausgecheckt. Aus der süßen Gondel sah ich den schnurgeraden Laufweg, der mir auch schon in der Karte aufgefallen ist.
Erstmal aber treffe ich in der Küche zwei Tramper aus Bulgarien und sie sagen, heute ist Feiertag und eine Parade der Matrosen zum Tag des Sieges, День Победы, Victory Day – Tag der Befreiung. Militärparaden werden seit dem Russland-Ukraine-Krieg nicht mehr gemacht, aber die tapferen Matrosen aus Odessa müssen geehrt werden. So mache ich mich auf in den Strom zum Denkmal der Matrosen mit der ewigen Flamme. Das Foto ist von gestern, heute war da kein rankommen.
Später steht u.a. ein Violinist auf dem Sockel und stimmte „Katjuscha“ an. Alle fallen ein. Echt krass, aber so sind sie.
Ich denke, ich bin zu spät, weil die Veteranen gerade schon Busse weise wieder abgefahren werden. Aber einige der hochdekorierten Offiziere und Generäle sind noch da und nehmen Glückwünsche aus dem Volk entgegen. Sogar ein Marschall der Sowjetunion ist dabei. Ich möchte nicht wissen, was diese Gruppe auf dem Kerbholz hat.
Was aussieht wie ein Filmset ist Wirklichkeit. Die Leute gratulieren aufrichtig und voll Stolz den Soldaten, die sich auch bereitwillig für Fotos aufstellen.
Selbst einfache Matrosen – fremde Menschen – werden zusammen mit den eigenen Kindern fotografiert und die Eltern geben den Stolz auf die Streitkräfte an die Kinder weiter. Ich bin echt nicht für Militarismus, aber Soldaten der Bundeswehr die sicher auch zu irgendwas gut sind würde keiner mit seinen Kindern ablichten.
Überhaupt die Kinder – süß. Diese beiden habe ich gefragt, ob ich sie fotografieren darf, die haben dann ihre Eltern gefragt und die sagten, ja klar, wo ist die Frage..
Die Blaskapellen spielen und die Leute warten auf irgendwas.
Dann kommt ein Aufmarsch der Kadetten mit Pauken und Trompeten und die Leute sind aus dem Häuschen.
Die ziehen dann weiter runter
bis zum Denkmal.
Es sind tausende Zuschauer hier versammelt, die ernsthaft begeistert sind.
Und die Show scheint noch nicht vorbei zu sein. Es kommt ein Zug von ein paar hundert Hinterbliebenen von Kriegsopfern. Das finde ich erstmal ehrenwert und mir als Deutschem wird echt mulmig. Auf einem Bild steht: „Er Starb in Berlin“ und mir schießen kurz die Tränen in die Augen.
Eine Kollektivschuld wird bleiben, das Gedenken kann gar nicht gering genug ausfallen für die Opfer.
Klar, auch Deutschland hatte viel Leid zu beklagen, ein Urgroßvater ist im Krieg gefallen und meine Eltern haben das Grauen als Kind überlebt. Die sind zufällig aus dem Land, das mit dem Scheiß angefangen hat und deshalb sind sie am heutigen Tag nicht dran.
Ohne das mindern zu wollen, lese ich später auf den bei Google ganz oben gerankten russischen Propagandaseiten (und mache mir einen hoffentlich objektiven Reim daraus): Es waren die Urainischen Russen, die Odessa als russische Heldenstadt zurück haben wollen und betonen, es sei schließlich IHR Sieg, der da errungen wurde.
Ein radikaler Flügel direkt im Anschluss an die Opfer, der unmißverständliche Plakate und Fahnen hochhält, wird von der Nationalgarde und Polizei abgedrängt.
Pro russische, kommunistische, faschistische und sonst wie ukrainefeidliche Symbole sind an diesem Ort verboten.
Ich hätte nichts dagegen, wenn das auf die restliche Welt ausgedehnt würde. Da dürfen ruhig auch noch ein paar dazu kommen.
Was mich echt auch berührt hat, sind die Fotos aus dem Krieg seit 2014 im Donezkbecken. Helden ebenfalls bis heute und so traurig das ganze. Bis heute sind Donezk, Luhansk und die Ostflanke russisch besetzt. 500 km von hier entfernt.
Das wirklich so vor Augen geführt zu bekommen, ist etwas anderes als ein- zwei Bilder im Fernsehen – eingeklemmt zwischen dem Bundestag und den Royals.
Da nützt auch nichts, daß sie irgendwann lustige Musik einspielen. Überhaupt sind die Menschen so fröhlich, während ich verschämt meine Tränen abwische. An einem Stand habe ich mir für 50 Cent eine Ukraineflagge an meinen Rucksack gesteckt und falle nicht weiter auf. Die Fahnen – auch von Odessa – und Blumen gibt es an ganz vielen Ständen.
Die Blumen werden alle abgelegt oder an Soldaten übergeben.
Auch die Medien sind vollzählig präsent, inklusive Russia Today & Co aus dem Nachbarland.
Wie auch bei uns ist das Datum auch in Bulgarien nicht zu merken, obwohl es ein wichtiges Datum ist. Es waren halt nicht nur die netten Amis mit Schokolade und Kaugummi, von denen mein Vater erzählt hat. Es waren eben auch die Russen, die uns besetzt und sich teils schlimm gerächt haben. Ich jedenfalls bin froh, daß die Alliierten damals den Krieg gewonnen haben, den Nazideutschland angezettelt hat.
Im Hostel ziehe ich mich um und laufe die Küste ab und muß einen weiten Bogen um das abgesperrte Mahnmal machen, das auch am Hochufer liegt. Toll, wieder laufen zu können, ich gebe Gas, obwohl es warm ist.
Ich mache ein paar schöne Fotos.
Weiter hinten kommt nochmal so eine Touristenfalle, eine riesige Ansammlung von Restaurants und Läden unterhalb von neuen edleren Bauprojekten für reiche Ukrainer und Russen.
Es sind auch einige Läufer unterwegs, die ich alle grüßen kann. Leider finden die Spaziergänger den geraden Bike- und Laufweg ebenfalls besser als die verschlungeneren Spazierpfade. Sie scheren sich nicht um die Markierungen der Fahrradspur zum Beispiel und torkeln gern auch mal unbedarft in den Lauf- oder Fahrweg hinein.
Weiter mit dem Haßobjeken : ganz zu schweigen von dem ganzen Elektrogeraffel, was jetzt ja auch in Deutschland auf die Geh- und Radwege kommen soll. Das ist Giftmüll hoch zwei und unser lieber Autominister hat das als Trostpflaster ausgegeben, um den Streß mit dem Abgas abzumildern. Anstatt erstmal die Fußgänger und Radler besser gestellt und geschützt werden, dürfen dann auch Deppen ohne Helm und ohne Gurt mit 35 km/h unkontrolliert mit billigem Schrott über die Gehsteige brettern. Das wird noch ein schöner Spaß.
https://www.mehrplatzfürsrad.de
Hier hält sich das noch in Grenzen, weil die Dinger ja auch teuer sind und die Wege so schlecht. Zack- steckengeblieben und dann – Aua!
Er hier hat mir richtig Freude gemacht – alter Jazzer.
Habe mal nach geschlagen : Jazzfest in Odesa am 21. September!
Mein Tag klingt aus im Kompot – dem Laden von gestern. Der ist echt toll.