08 Rostov – Baku per Bahn – Agent Guido

Meinen Zug erreiche ich rechtzeitig aber wirklich nicht zu früh. Er steht an Gleis 3 ganz hinten.

Und davon ist mein Waggon der erste, also noch mal 300 m weiter. Die Schaffenrinnen am Ende gucken ungerührt, sie sind hier nur auf der Arbeit. Ich frage eine trotzdem und sie bestätigt, mein Wagen 5 ist ganz vorn. Vorn steht Elena und will gerade schon die rostige Treppe einklappen. Das macht sie ungern nochmal rückgängig wegen mir und sieht den Terminplan in Gefahr, weil ich nochmals den Sack vom Benpacker abschnallen und die Teile einzeln hochwuchten muß. Dann sind wir drin und wir sind pünktlich.

Das ist Ihr Abteil.

Sie ist aber nett als sie merkt, wie schwierig mir die Sprache immer noch ist. Sie zeigt mir mein Abteil und da sitzt schon Ekaterina. Wagen 5 Platz 7 (unten). Ekaterina sitzt Platz 8 fährt nur bis Tikhorechkaya, 2 1/2 Stunden. Fragt sich, warum sie im Schlafabteil gelandet ist. Elena hat wohl nochmal mit der Bahn telefoniert aber die sagen auch, sie ist hier richtig. Fährt sich natürlich auch schöner im Abteilwagen 2. Klasse als in der dritten. Denn 1. Klasse gibt es hier nicht. Über 31 Stunden dauert die Fahrt.

Es gibt auch keinen Restaurantwagen, aber Heißwasser aus dem Reaktor.

Das Ding ist noch wesentlich älter als das Monstrum im letzten Zug, aber man sollte nicht lachen. Es ist zur Not mit Holz, Kohle und Holzkohle heizbar, bis Minus 40 grad ausgelegt um im Winter sicherlich eine schöne Heizquelle. Die russischen Züge müssen funktionieren bei subtropischer Hitze und bei klirrender sibirischer Kälte. Da fällt das Design schon mal etwas klobiger aus.

Überhaupt ist der Zug uralt. Elena sagt, höchstens mittelalt. Sie kennt wesentlich ältere Züge. Dieser sei angeblich aus Deutschland. Nun kenne ich nur die DB Schlafwagen und der hier hat hat nichts davon. Die Schlafwagen aus der DDR hab ich selbst nur von außen gesehen damals. Es gab ja die Züge über die Tschechoslowakei, Ungarn und Rumänien nach Bulgarien. Vielleicht ist das davon einer. Die Wandverkleidung aus plastikartigem Spreelacart (im Westen hieß das Resopal) könnte aus der DDR sein. Das Klo ist ein echter Hingucker mit seinem vernickelten Waschbecken und der Tretpedale, um die Hinterlassenschaften auf die Gleise zu befördern.

Später sehe ich das Schild an der Einstiegstreppe: Waggonbau Ammendorf, 1992.

damit ist er jünger als viele IC Wagen bei uns. Na jedenfalls ist er urgemütlich.

Ins Restaurant brauche ich nicht. Das hätte ich mich auch nicht getraut. Der Übergang zum nächsten Wagen ist eine Schaukel über den Puffern.

Wahrscheinlich meinte ich das damit, als ich in Berlin noch schrieb, mir wäre ein alter Zug lieber.

In der zweiten Klasse können jederzeit drei weitere Schlafgäste ins Abteil kommen und ich hab bei Elena schon mal vorgefühlt, wer denn da so kommt. Ihr Antwort ist wie aus dem Lehrbuch der Kommunikationsabteilung: Es werden laufend bis zuletzt Fahrkarten verkauft, deshalb weiß man es nicht. Sie kann kein Wort englisch, auch keiner der Mitteisenden, ich verstehe alle schon ganz gut.

Mein Gepäck kriege ich unter, wenn ich den Benpacker auseinander baue. Das ist echt super, denn auch wenn der dafür nicht gemacht ist: Die teils groben Stufen, Treppen, Absätze und Übergänge meistert er natürlich besser als jeder Rollkoffer. Und auseinander gebaut ist er in 30 Sekunden. Die robusten Sicherheitsleute haben auch zugestimmt, daß ich mal probieren darf, ob ich ihn im Ganzen durch den Röntgentunnel schieben kann. Geht, wenn ich selber schiebe. Die sind hier alle nett, alle. Mit fällt jetzt wieder eine Eigenschaft ein, die sie ist den Amerikanern gemeinsam haben: Schmerzfreiheit. Das trifft es am ehesten. Sie sind schmerzfrei und wenn sie etwas interessiert, machen sie einiges dafür. Das ist so angenehm, wenn man an die teils jammerigen Deutschen denkt, die es natürlich besser wissen, das macht es oft auch komplizierter. Genug für heute aus der Klischeekiste. Weiter unten kommen keine Vorurteile, sondern die Wirklichkeit.

Wir rollen über den Don.

Heute ist mein letzter Tag in Russland und ich kriege wieder so einen Miniblues, daß ich ein Land verlasse. Russland gefiel mir zunehmend, obwohl es ein-zwei Dinge gibt, die sie nochmal überdenken sollten. Nur um ein Beispiel zu nennen: das Klopapier darf auf keinen Fall ins Klo, weil das gesamte Leitungssystem verstopft. Stattdessen muß das benutzte Klopapier in den Mülleiner. Das ist eklig. Ansonsten sind sie rundherum super.

Wir passieren immer wieder kleine Bahnstationen.

Es kommt keine Stadt, die man schon mal gehört hat.

Ich koche mir nach und nach einige Tees und fange an, mein Buch zu lesen. Je eher ich es durch habe, desto schneller kann ich es verschenken. Nino Haratischwili, Das achte Leben – über 1200 Seiten. Haben meine Kolleg*innen mir geschenkt und das paßt jetzt natürlich sehr gut (Georgien zwischen 1900 und heute).

Des Nachts steigt eine Frau zu. Sie raschelt eine Ewigkeit, bezieht Ihr Bett im Dunklen und irgendwann liegt sie brav. Ich bin zwar dadurch wach geworden, denke aber, daß ich inzwischen trotz hin- und hergeworfen-werdens auf den rumpeligen Gleisen ganz gut schlafen kann. Auch ohne Bier. Gegen 6:45 erwache ich und sehe den Kaukasus!

Das hätte ich nicht erwartet. Den ganzen Morgen über versuche ich nun, noch bessere Fotos zu machen, aber das erste ist immer noch das beste. Zwischendurch Frühstück (nun hat die nutella- Zeit begonnen).

Ich versuche, immer wieder neue Fotos. Das weiße sind keine Wolken, das sind Berge.

Die Gegend wird südlich, sogar einen Halbmond sehe ich auf einem Zwiebelturm.

Die Kühe und Schafe weiden meist ohne Aufsicht und wir kommen selten über 50 km/h hinaus.

In Gudermes ist Halbzeit, noch 16 Stunden Fahrt.

Meine neue Mitbewohnerin taufe ich nun auf Nadeshda, die hat einen festen Schlaf.

Selbst bei den rumpeligen Ankopplungsmanövern, bei dem man fast aus der Koje fliegt, pennt sie ungerührt weiter.

Die Kupplung knallt, rastet teils ein oder aus und knarkst bedenklich, aber die ist aus massivem Metall, da kann wohl nichts passieren.

Später frage ich Nadeshda, wohin des Wegs – auch nach Baku. Na das ist doch gut. Sie ist nicht unfreundlich, nur müde und hat keinen Bock zu sprechen. Vielleicht ist sie auch traurig oder einfach nicht so aufgedreht.

Immer wieder der schneebedeckte Kaukasus – unglaublich!

In Machatschkala sind wir plötzlich am Kaspischen Meer – noch so eine Überraschung!

In der Werft liegt eine Ölbohrplattform der Firma Lukoil.

Heute ist Sonntag und die Leute gehen auf die Mole. Sie sammeln auch Strandgut oder angeln. Von Ostern weiß man erst nächste Woche etwas, wenn man orthodox ist. Muslime feiern es gar nicht.

Bei Derbent kommen die Grenzkontrollen und mehrere Kunstpausen. Der gesamte Übergang nach Aserbaidschan dauert letztendlich über 4 Stunden. Meine Polizistin auf russischer Seite nimmt Ihren Job sehr ernst, auch das wieder eine Parallele zu Amerika. Es reicht nicht, daß ich alle drei Visa vorweisen kann – Belarus, Russland. Aserbaidschan, sie will erstmal verstehen, was das soll. Ich antworte brav und nachdem sie sich mit den Kollegen nochmal verständigt hat, die ihr sagen, daß ich halt ne Rundreise mache, akzeptiert sie meinen Reiseverlauf. Wir sprechen wieder nur Russisch und das in Kombination mit meiner etwas unwahrscheinlichen Geschichte macht sie allesamt mißtrauisch. Nun muß sie das alles 2x in das Gerät eingeben, macht Fotos von allen Visa, zieht auch die Kanten der Ausweiskarte und der Visa durch ihr Gerät und dann macht sie noch etwas komisches: Sie hält die Stirnkante des geschlossenen Ausweises eine Weile an das Gerät als wenn sie da noch irgendwas auslesen kann. Dann kommt der Stempel. Er landet direkt neben dem US Stempel von 2016 in New York City. Ich bin kurz davor das lustig anzumerken aber ich laß das lieber, nachher gibts noch Verwirrung.

Dann ist sie durch und die russische Kontrolle ist überstanden. Jedenfalls beinahe.

Es kommt noch eine andere Polizei, mit grünen Streifen statt roten in der Uniform. Ich muß mit ins Schaffnerabteil und sie machen eine Befragung. Wir fangen an mit einem Mißverständnis: „Cam rabotet“ sagte er und ich denke, er meint seine Kamera läuft. Ich nicke dazu zeige auf seinen Kollegen, der sie zwar schon eingeschaltet hat, sie aber noch nicht auf mich gerichtet hat. Er meinte aber „C KEM rabotet “ – mit wem arbeitest Du ( jetzt geht bei mir die Kamera an für ein Kopfkino – ich als Agent!). Ich werde also gefilmt und gefragt, was ich denn beruflich mache. Was ich den in Russland wolle, ob ich Russland schön finde. Das hat mich gestern schon ein Mitreisender gefragt, so kann ich antworten ohne zu überlegen: sehr interessant ist Russland. Dann notiert der Oberleutnant alles, vor allem meinen Reiseverlauf und wir gehen seine Notizen nochmal durch. Dann fragt er , welche Stempel das denn da noch seien und tippte auf den von New York von 2015. Ich gebe mich weiter unbefangen und sage stolz aus, daß ich da den Boston Marathon gelaufen bin. Es geht etwas schleppend, weil wir alles in Russisch machen. Hätte ich das gewußt, hätte ich mich auf meinen Auftritt in diesem Streifen besser vorbereitet.

Er will wissen, ob das mein Hobby sei – laufen. Ja genau, deshalb laufe ich ja jetzt auch durch Aserbaidschan und Georgien. In 2017 sei ich halt so auch 2000 km entlang der Ostsee gelaufen und war auch in Kaliningrad. Seine Zweifel weichen nicht und seine Freundlichkeit scheint mir eine knallharte Befragungstechnik zu kaschieren. Er wird das hier vielleicht lesen – liebe Grüße, unbekannter Polizist!

Wann ich denn das nächste mal nach Russland käme. Ich sage, das wisse ich noch nicht (gerade im Moment hab ich die Lust daran verloren, aber ich werde nichts revidieren, was ich oben geschrieben habe). Dann fotografiert auch er nochmal meinen Reisepass. Ich muß mein Handy rausrücken und er guckt meine Fotos durch- nun, er ist der Chef von uns beiden. Ein Foto muß ich löschen, da hatte ich seine Kollegin gut draufgekriegt die dann später meine Daten aufgenommen hat. Hm, das ist nun weg. Er will wissen, was das für ein Tattoo ist. Ich sage, daß das heißt, daß ich meine Frau liebe und das wir letztes Jahr in Californien geheiratet haben. Dann meine Gegenfrage, ob er denn schon mal in Amerika war. Er schweigt kurz. Das sitzt.

Sie haben es echt nicht leicht als Supermacht, wir Deutschen sind frei und neutral aber immer für die Demokratie, wir haben keinen Minderwertigkeitskomplex und unser Pulver als Kriegsanstifter ist die die Ewigkeit Gottseidank aufgebraucht.

Dann sind wir fertig und ich bin hellwach jetzt. Nicht schlecht, so eine Aktion um aus der dunstigen Trägheit des warmen Zuges heraus zu kommen. Irgendwie haben sie mir das nicht geglaubt oder sie hatten ganz viel Zeit und brauchten jemanden zum Reden. Denn der Zug steht 90 min allein hier an diesem trostlosen Bahnhof Derbent. Im Nachhinein frage ich mich, warum sie diesen Zirkus nicht bei der Einreise machen, jetzt wo ich rausfahre, kann doch keine Gefahr mehr drohen.

Und meinen Blogeintrag, den schreibe ich ja nun in (relativer) Freiheit. Die Grenze sieht aus wie im kalten Krieg. Das ist schon traurig.

Die aserbaidschanische Kontrolle ist wesentlich entspannter mit nur einem Polizisten und einem Zollbeamten bleibt es übersichtlich.

Ab Jalama gehts im Schneckentempo nach Baku.

2:15 sind wie pünktlich da.

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