03 Weißrussland und Ankunft Moskau
Der Zug hat mich kurz zweifeln lassen, ob das die beste Idee war, stundenlang schlaflos durch die Nacht zu gondeln. Irgendwann kurz vor Warschau schlief ich dann doch ein und um 5 Uhr war die Nacht schon wieder zu Ende. Denn der Lautsprecher sagte, daß die Pässe bereit zu halten sind für die Grenzkontrolle in Terespol. Das ist hier der letzte Außenposten der EU. Draußen wurde es hell und man konnte sehen, hier wird fleißig investiert in einen neuen Bahnhof samt Gebäude, Gleise, Steige. Ich war zu müde, um schnell ein Foto zu machen, deshalb kommt es hier nicht so rüber.
Die Abteiltüren wurden geöffnet und jeder hat an dem in der Fahrkarte aufgedruckten Platz zu bleiben!
Es kam dann gar nicht so schlimm, wie es sich anhört, ein schläfriger polnischer Kontrolleur blätterten lustlos in meinem Pass und der Zoll fragte im Vorbeischlurfen: Etwas zu verzollen. Das wars, dachte ich.
Dann setzte sich der Zug in Bewegung mit einer erneuten Ansage, daß jetzt die Einreise nach Weißrussland und die Russische Förderation bevor stünde. Sie betrachten es praktisch als ein Land, das Herrschaftsgebiet. Der Zug rollt an den bereitliegenden Radsätzen vorbei mit russischer Spurweite.
Aber die braucht unser moderner Zug nicht. Er rollt unmerklich auf sich verbreiternde Gleise einfach weiter. Man sieht die Anlagen, mit denen sonst die Räder getauscht werden.
Dann steigen gut und gerne 20 Beamte in den Zug und dann kommt die Kontrolle. Es tat sich erst 20 Minuten nichts und der Zug fuhr sogar weiter in Richtung Brest Hauptbahnhof. Ich wollte mir Wasser holen da kam mir eine gestrenge Grenzpolizistin entgegen und ich konnte nur zurück weichen bis in mein Abteil. Es war wie in einem James Bond Film. Sie ist bestens ausgerüstet, auch mit Bodycam. Ich verkniff mir zu winken und ich war jetzt auch noch nicht dran. Dann kam sie samt ihrem Gefolge zu mir, musterte mich kurz und ließ die Untergebenen die Arbeit machen. Mein Pass wurde eingesammelt und ich mußte eine Migration Card ausfüllen. Die Schrift war selbst mit Lesebrille zu klein und Paßnummer und Visumnummer kann ich ja wohl schlecht eintragen, wenn Sie mir den gerade abgenommen haben. Meine Nachbarin mußte nichts ausfüllen und meinte, dieser Zettel wäre total wichtig, den brauche ich vielleicht dann bei der Ausreise wieder.
Die Zollbeamtin war total nett und musterte mein merkwürdiges Gepäck nur aus persönlichem Interesse. In Brest HBF steigen alle Beamten wieder aus und schlendern durch den pikobello hergerichteten Bahnhof.
Schon deshalb muß auch auf der polnischen Seite was passieren. Denn der sah bisher ziemlich abgerissen aus. Quasi Wettbewerb der Systeme.
Es ist kurz vor 8 und jetzt kommt der gemütliche Teil. Mit den Bediensteten im Speisewagen hatte ich mich gestern schon angefreundet. Allerdings waren die Speisen nicht annähernd so attraktiv, wie dargestellt und kosteten immerhin nur kleines Geld. Bier gab es gestern Abend nicht, erst jetzt ab Brest wird ausgeschenkt – hm. Es gibt Passagiere, die begrüßen das. Prohibition verkehrt herum.
Ich lese deshalb nicht erneut die Speisekarte sondern bestelle einfach Kaffee, Brot, Butter und Marmelade – und es funktioniert!
Ich bin froh, hier drin zu sein, draußen sind es 2 grad und Bodenfrost und unendliche Birkenwälder. So sieht es womöglich bis Wladiwostok aus.
Es ist einfach eine super Idee, das Land per Bahn zu bereisen! Man kann wirklich sagen, man hat das Land gesehen.
Wälder, Dörfer, selten eine Fabrik oder Militär, viel altes Gerümpel und zweimal eine blitzblank nagelneue Fabrik. Jederzeit kann ich rumlaufen oder mich ablegen. Denn ich döse knapp drei Stunden und dann kommt Minsk, die Hauptstadt Weißrusslands. Meine Nachbarin Natalia steigt aus und ich verspreche ihr, mal zu schreiben, wie die Reise ausgegangen ist.
Das Wetter ist hier besser, schon 13 grad und Sonne. Die Gegend abseits der Großstadt unverändert. Noch 700 km Luftlinie – 9 Stunden bis Moskau. Ich mache mir die Suppen, die Natalia mir dagelassen hat. Die schmecken.
Auch eine Davert Quinoa Cup brühe ich mir an der Wasserstation auf. Die ist wesentlich gesünder, hat keine Geschmacksverstärker und sie schmeckt nicht.
Da müßte ich mich im Zweifel entscheiden, wo mein Fokus liegt. Gut daß mein Sohn mir gestern eine Tupperdose mit Biobroten mitgegeben hat. Die schmecken.
Noch 7 Stunden bis Moskau. Meine Uhr zeigt nach einem halben Tag 45 Schritte = 1 aktiv verbrannte Kilokalorie. Für einen Läufer ist das wahrscheinlich zu wenig.
Nun wäre eine gute Gelegenheit, mein Baltikumbuch weiter zu schreiben, denn hier besteht nicht die Gefahr, von neuen Eindrücken überhäuft zu werden. Ich schreibe zwei Absätze und lege mich dann nochmal ab.
Gegen 16 Uhr schlendere ich doch noch mal ins Bordrestaurant. Jetzt gibt es Sibirisches Bier und was zu essen, sehr kleine Portionen und ich muß zweimal essen.
Woher kommt der Hunger, wenn man doch den ganzen Tag nichts macht?
Draußen inzwischen Smolensk.
Ich sehe von weitem eine sensationell große viertürmige Basilika, es ist gar nicht so einfach zwischen dieser schmutzigen rostigen Industrie- und Bahnkultur ein Foto davon zu machen.
Zurück im Abteil tippe ich wieder und sehe mir die Landschaft an. Immer öfter sehe ich abgebrannte Flächen und dann sogar viele Rauchschwaden am Horizont. Das dürre Vorjahresgras wird abgebrannt, vor allem an den Böschungen der Bahn und Autobahnen. Kein Wunder, daß dabei immer mal wieder auch ganze Wälder in Flammen aufgehen. Dazwischen sind viele sumpfige Flächen, wo auch das Feuer nicht weiter kommt, deshalb ist es nicht gefährlich.
Je mehr Richtung Osten, desto öfter liegt sich noch alter Schnee. Ansonsten seit Stunden das gleiche Bild.
Noch drei Stunden bis Moskau. Das ist hier so als wenn wir nach Köln wollen und schon in Bonn sind. Ist nicht mehr lange. Eine Stunde vor der Stadt beginnt aus der grauen Landschaft immer mehr Vorstadt zu werden. Die Häuser werden immer größer und wechseln sich noch mit Baracken und Hütten ab.
Dann kommen die Straßen mit Feierabendverkehr auf 7 Spuren und die Glastürme, eine stattlich Ansammlung in der Abendsonne.
Und dann kommt der Bahnhof Moskwa Belaruskaja.
Ich stürze mich in das Gewimmel der Metrolinien und die Leute helfen mir mit dem Wagen, fragen teils, ob ich den Weg finde und so weiter – total nett!
Mein Hostel liegt im Arbat und ist echt super. 6.000 Rubel für 2 Nächte – 90€ mitten in der teuersten Stadt der Welt – was kann mir besseres passieren.
https://jedihostels.com/urban/ru
Ich bin mir nicht sicher, ob das hier als alternatives Viertel gilt, könnte aber sein mit Veggieläden und so.
Cool, ich gehe nochmal raus spazieren.